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Hier informieren wir Sie über Neuigkeiten aus dem Bereich der Barrierefreiheit sowie aus der Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Neu in 2018:
Umsetzung der EU-Richtlinie über die Barrierefreiheit von Internetangeboten öffentlicher Stellen

Bis zum 23. September 2018 ist die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen in deutsches Recht umzusetzen. Welcher Umsetzungsbedarf ergibt sich aus der Richtlinie und welche Verbesserungen sind von ihr zu erwarten?

1. Was ist eine Richtlinie der Europäischen Union?

Die Gesetzgebung der Europäischen Union kennt zwei Rechtsakte: die Verordnung und die Richtlinie. Während eine EU-Verordnung für alle Mitgliedsländer der Europäischen Union unmittelbar gilt, eine Verordnung also ohne weitere Maßnahme des Mitgliedsstaates in den nationalen Rechtsordnungen Anwendung findet, bedürfen Richtlinien zur ihrer Verbindlichkeit im innerstaatlichen Recht noch der Umsetzung durch das jeweilige Mitgliedsland.

2. Ab wann müssen die Vorgaben der Richtlinie spätestens beachtet werden?

Das deutsche Recht, das die Richtlinie umsetzt, muss spätestens bis zum 23. September 2018 erlassen worden sein. Für die tatsächliche Umsetzung räumt die Richtlinie weitere Fristen ein:
Websites, die ab dem 23. September 2018 veröffentlicht werden, müssen spätestens ein Jahr später den Anforderungen der Richtlinie genügen, also ab dem 23. September 2019.
Websites, die bereits vor dem 23. September 2018 veröffentlicht worden waren, müssen erst noch ein Jahr später, also ab dem 23. September 2020 den Anforderungen der Richtlinie genügen.
Mobile Anwendungen müssen sogar erst ab dem 23. Juni 2021 den Vorgaben der Richtlinie entsprechen, egal, wann sie das erste Mal veröffentlicht wurden.

3. Welche Anbieter sind von der Richtlinie betroffen?

Die Richtlinie bezieht sich nur auf Internetanwendungen öffentlicher Stellen. Das sind im Wesentlichen dieselben Stellen, die auch dem europäischen Recht der öffentlichen Auftragsvergabe unterliegen. Dazu gehören in Deutschland vor allem der Bund, die Länder und die Gemeinden, daneben aber auch juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, sofern sie im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art erfüllen. Das sind häufig Einrichtungen, die Aufgaben der so genannten öffentlichen Daseinsvorsorge erfüllen. Hierzu zählen die Sozialversicherungsträger aber auch Kultureinrichtungen. Viele kommunale Aufgabenträger werden ebenfalls unter die Richtlinie fallen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und bestimmte Nichtregierungsorganisationen werden von der Richtlinie ausdrücklich ausgenommen. Für Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen können die Bundesländer Ausnahmen vorsehen. Allerdings müssen wesentliche Online-Verwaltungsfunktionen für diese Bildungseinrichtungen in jedem Fall den Barrierefreiheitsanforderungen der Richtlinie genügen.
Nicht erfasst werden von der Richtlinie die Organisationen, die ihre Leistungen auf einem offenen Markt anbieten. Den im Alltag der Bürgerinnen und Bürger bedeutsamen Bereich des Online-Handles regelt die Richtlinie also nicht. Dieser soll allerdings Gegenstand der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen werden.

4. Auf welche Internetangebote bezieht sich die Richtlinie?

Die hier zu besprechende Richtlinie regelt Websites und mobile Anwendungen. Mobile Anwendungen definiert die Richtlinie als Software, die programmiert wurde, damit Inhalte von einem unbestimmten Kreis von Nutzenden insbesondere auf Smartphones und Tablets abgerufen werden können. Zu den mobilen Anwendungen gehören also nicht solche Anwendungen, die nur einem geschlossenen Nutzerkreis zur Verfügung gestellt werden. Demgegenüber erfasst die Richtlinie auch ab dem 23. September 2019 veröffentlichte Websites für geschlossene Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern (Extranets und Intranets).
Für bestimmte Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen enthält die Richtlinie Sonderregelungen, nämlich für alle Büro-Dokumenten-Formate wie z. B. pdf-Dokumente, für Audio- und Videoformate, für Wiedergaben von Gegenständen, die von historischen, künstlerischen, archäologischen, ästhetischen, wissenschaftlichen oder technischem Interesse sind, für Online-Karten und Kartendienste sowie für Archive. Unter Archive versteht die Richtlinie solche Inhalte, die für Verwaltungsverfahren nicht benötigt werden und die auch nicht mehr aktualisiert oder bearbeitet werden.
Nicht erfasst werden die Inhalte, die von Dritten auf den Websites oder mobilen Anwendungen der öffentlichen Stellen eingestellt werden, sofern diese Inhalte weder von der öffentlichen Stelle finanziert, entwickelt oder kontrolliert werden. Wann das der Fall ist, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein.

5. Welcher Umsetzungsbedarf besteht in Deutschland aufgrund der Richtlinie?

In Deutschland haben sowohl der Bund als auch die Länder Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen. Also gibt es auch öffentliche Stellen im Bund und in den Ländern. Zur Umsetzung der Richtlinie müssen daher sowohl der Bund als auch die Länder aktiv werden.
Schon heute kennt das deutsche Recht in den Behindertengleichstellungsgesetzen des Bundes und der Länder und den dazu ergangenen Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften für eine Vielzahl von öffentlichen Stellen Barrierefreiheitsanforderungen. Diese gelten selbstverständlich weiter. Die EU-Richtlinie setzt bestehende nationale Vorschriften keineswegs außer Kraft. Ziel der Richtlinie ist vielmehr, die bereits existierenden, unterschiedlichen Vorschriften in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu vereinheitlichen.
Die Richtlinie erstreckt sich aber auch auf einige privatrechtlich organisierte Stellen, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art erfüllen. Diese werden jedenfalls vom Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) des Bundes bislang in der Regel nicht erfasst. Ein Anpassungsbedarf besteht in einigen Bundesländern darüber hinaus vermutlich in Bezug auf die Gemeinden und deren Aufgabenträger.
Demgegenüber dürfte sich bei den umzusetzenden Standards der Barrierefreiheit kaum Anpassungsbedarf ergeben. Welches Niveau der Barrierefreiheit zu erreichen ist, definiert die Richtlinie, in dem sie im Wesentlichen auf die Europäische Norm zu den Barrierefreiheitsanforderungen für die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnologie (EN 301 549 V1.1.2 (2015-04) Bezug nimmt. Diese Anforderungen basieren – wie die der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung des Bundes (BITV 2.0) - auf den weltweit gültigen Web Content Accessibility Guidelines. Nach der BITV 2.0 sind zum Beispiel pdf-Dokumente unabhängig davon, wann sie veröffentlicht worden sind, schon heute barrierefrei zu gestalten.

Die Richtlinie fordert aber eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen, die in Deutschland bislang nicht oder nicht in allen Fällen vorgesehen sind:

  • Die öffentlichen Stellen müssen eine Erklärung online zur Verfügung stellen, inwiefern ihre Websites und mobilen Anwendungen der Richtlinie entsprechen. Insbesondere ist anzugeben, welche Inhalte aus welchen Gründen nicht barrierefrei nutzbar sind und ob es ggf. alternative Zugänge zu ihnen gibt.
  • Damit Nutzerinnen und Nutzer Mängel der Barrierefreiheit melden können, ist ein so genannter Feedback-Mechanismus vorzusehen. Dieser Feedback-Mechanismus soll auch dazu dienen, dass Informationen, die nach der Richtlinie nicht den Barrierefreiheitsanforderungen unterliegen, in einem geeigneten Format zur Verfügung gestellt werden können.
  • Die Mitgliedsstaaten müssen überwachen, ob die öffentlichen Stellen die Anforderungen der Richtlinie einhalten und darüber der Kommission spätestens am 23. Dezember 2021 das erste Mal und ab dann alle 3 Jahre öffentlich in einem zugänglichen Format berichten. Die Richtlinie legt für das Überwachungsverfahren weitere Einzelheiten fest.
  • Schließlich müssen die Mitgliedsstaaten ein angemessenes und wirksames Durchsetzungsverfahren zur Einhaltung der Anforderungen vorsehen. Ein solches Durchsetzungsverfahren kann zum Beispiel ein Ombudsmann respektive eine Ombudsfrau sein.

Die Richtlinie (den Gesetzestext) finden Sie auf der Website EU: EU-Webseitenrichtlinie