Bereich Fachwissen

Fachwissen

In diesem Bereich finden Sie unser gesammeltes Fachwissen zum Thema Barrierefreiheit. Wir erläutern die einzelnen Themen, geben Praxishilfen und nennen die gesetzlichen Vorgaben.

Barrierefreiheit bei Online-Shops – warum Händler jetzt aktiv werden müssen

E-Commerce: Wissen und Unterstützungsangebote rund um das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Datum 15.09.2023

Online-Shopping ist für viele Menschen heutzutage eine selbstverständliche Art des Einkaufens. Zu jeder Tageszeit können wir beim Online-Versandhändler oder im Online-Shop unserer Wahl einkaufen. Dadurch sparen wir Zeit und Wege. Auch für Menschen mit Behinderung ist das Einkaufen im Internet eine wertvolle Alternative zum stationären Handel. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) werden zum ersten Mal private Wirtschaftsakteure wie Online-Shop-Betreiber dazu verpflichtet, einige Produkte und Dienstleistungen zukünftig barrierefrei zu gestalten.

Bereits der Weg zum Supermarkt kann für einen blinden Menschen eine Herausforderung sein. Verkehr oder kurzfristige Änderungen bei Bus- und Bahnverbindungen sind für ihn unplanbare Hindernisse. Im Supermarkt warten neue Barrieren: Produkte im Regal können von blinden Menschen in der Regel nicht erkannt werden.

Auch das Online-Shopping ist nicht generell für alle zugänglich. Damit das Einkaufen im Internet wirklich für alle Menschen nutzbar ist, müssen Websites und Apps barrierefrei sein.

Was gibt es für Barrieren im Internet?

Eine Barriere auf einer Website ist beispielsweise, wenn die Farben der Texte und Hintergründe nicht stark genug kontrastiert sind. Dann kann es für sehbeeinträchtigte Personen schwierig bis unmöglich werden, diese Texte zu lesen. Und: Blinde Menschen und einige mobilitätseingeschränkte Menschen nutzen die Tab-Taste, um durch eine Website zu navigieren. Daher muss die Website entsprechend programmiert sein, um sich mit der Tastatur durch die Seite führen lassen zu können. Bei Apps auf dem Smartphone nutzen blinde Menschen die Sprachsteuerung. Am Computer verwenden blinde und stark seheingeschränkte Menschen einen Screenreader – das ist ein Vorleseprogramm, das die Inhalte auf dem Bildschirm vorliest.

Testergebnis: Barrierefreiheit bei Online-Shops ist mangelhaft

Im Juni hat die Aktion Mensch den Testbericht „So barrierefrei sind Online-Shops in Deutschland“ veröffentlicht. Die Aktion Mensch, Stiftung Pfennigparade, BITV-Consult und Google hatten in einem Test die Barrierefreiheit der meistbesuchten Online-Shops in Deutschland überprüft. Der Test, der mit fachlicher Beratung durch die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund) durchgeführt wurde, zeigte im Ergebnis: Die Mehrheit der großen Einkaufsportale im Netz hat teilweise erheblichen Nachholbedarf bei der Barrierefreiheit.

Digitale Barrierefreiheit – für wen?

Es gibt verschiedenste Arten von Behinderungen, die digitale Barrierefreiheit erfordern. Solche Behinderungen sind zum Beispiel:

  • motorische Einschränkungen
  • körperliche Einschränkungen
  • Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit
  • Blindheit, Sehbehinderung, Rot-Grün-Sehschwäche, Seheinschränkung aufgrund des Alters
  • kognitive Einschränkungen
  • Lerneinschränkungen
  • temporäre Einschränkung: u.a. durch Unfälle, Operationen, Medikamente

Barrieren und Barrierefreiheit

Nach dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist ein Produkt oder eine Dienstleistung barrierefrei, wenn es/sie „für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar“ ist (vgl. BFSG § 3 Absatz 1).

Anforderungen an Barrierefreiheit im Online-Handel

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet zur Barrierefreiheit einiger Produkte und Dienstleistungen im privatwirtschaftlichen Bereich. Das Gesetz tritt ab Juni 2025 vollumfänglich in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt müssen die in § 1 Absatz 2 und 3 BFSG aufgeführten Produkte und Dienstleistungen barrierefrei sein. Dazu gehören beispielsweise Produkte wie Smartphones und Smart-TV, Bank- und Fahrkartenautomaten, E-Books und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr wie Online-Shops.

Für einige Produkte und Dienstleistungen gibt es jedoch Übergangsbestimmungen, nach denen die Barrierefreiheitsanforderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt sein müssen (vgl. § 38 BFSG).

Ausnahmeregelung für einige Kleinstunternehmen

Nach § 3 Absatz 3 BFSG sind Kleinstunternehmen (weniger als zehn Beschäftigte und höchstens 2 Millionen Euro Jahresumsatz), die Dienstleistungen anbieten, vom BFSG ausgenommen – sie müssen ihre Dienstleistungen also nicht barrierefrei gestalten.

Kleinstunternehmen, die jedoch Produkte in Umlauf bringen, fallen unter das BFSG und müssen die in § 1 Absatz 2 genannten Produkte barrierefrei gestalten.

Weshalb Online-Shop-Betreiber zeitnah handeln sollten

Eva Behling, Juristin beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V., plädiert für eine zeitnahe Auseinandersetzung mit den Anforderungen sowie entsprechende Wissensaneignung. „Wir sollten aus den Erfahrungen mit der DSGVO-Einführung lernen, damit sich die Fehler nicht wiederholen: Viele Händler haben die Umsetzung damals auf die lange Bank geschoben, bis sie vor der Tür stand. Als man sich kurz vor Schluss fortbilden und sensibilisieren lassen wollte, waren Rechts- und IT-Berater oft überlastet. Erschwert wird das Problem auch dadurch, dass es nicht genügend Experten zum BFSG gibt.“

Für Kleinstunternehmen bietet die Bundesfachstelle Barrierefreiheit gemäß § 15 BFSG eine (kostenlose) Beratung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz an (zurzeit noch in eingeschränktem Umfang, da die Bundesfachstelle personell erst ab 2025 vom Gesetzgeber für diese Beratung ausgestattet wird).

Unterstützung hinsichtlich der Wissensvermittlung bietet die Bundesfachstelle Barrierefreiheit auf ihrer Website im Bereich Fachwissen: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Dort wird sie auch künftig Informationen zu den technischen Standards veröffentlichen, gemäß § 3 Absatz 2 BFSGV (Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen nach dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz).

Schritt für Schritt zum Verständnis für einen barrierefreien Online-Shop

Welche digitalen Barrieren können grundsätzlich bei Websites und Apps auftreten? Was bedeutet die Nutzung von Websites für blinde Menschen oder wie wichtig ist die Tastaturbedienbarkeit auch bei motorischen Einschränkungen? Wann ist eine Website bestmöglich barrierefrei? Die folgenden Handlungsschritte geben einen Orientierungsrahmen für den Weg der Gestaltung eines barrierefreien Online-Shops:

  1. Bewusstseinsbildung: Um ein Verständnis für vorhandene Barrieren entwickeln zu können, ist es zunächst sinnvoll, die Zielgruppe von digitaler Barrierefreiheit kennenzulernen. Es gibt verschiedene Websites, die über diese Benutzergruppen informieren, wie das Portal BIK für Alle. Der Allgemeiner Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin bietet zum Beispiel einen Sehbehinderungs-Simulator, mit dem man verschiedene Sehbehinderungen darstellen lassen kann.
  2. Wissensaufbau: Verschaffen Sie sich einen Überblick zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Für einen ersten Überblick bietet die Bundesfachstelle Barrierefreiheit Informationen auf ihrer Website: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Künftig werden Sie dort auch FAQ zum Gesetz finden.
  3. Erfahrungsaustausch: Beziehen Sie Ihre Netzwerke und Verbände ein, tauschen Sie sich aus. Suchen Sie nach Erfahrungen und Learnings, auf die Sie zurückgreifen können. So bietet beispielsweise der Bundesverband Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. für die Branche auf seiner Website viele Informationen rund um Barrierefreiheit und das BFSG an. Der Verband hatte bereits Ende 2020 eine Taskforce für das Thema gegründet. Daneben finden sich ein FAQ sowie weiterführende Informationen und Webinar-Angebote für die Branche.
  4. Berücksichtigung der Richtlinien und Standards: Für die Umsetzung barrierefreier Websites und Apps wird die EN 301 549 maßgeblich sein, da sich eine Aktualisierung dieser EN explizit mit Blick auf die Anforderungen der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen im Kontext der EU-Richtlinie 2019/882, die das BFSG umsetzt, in Planung befindet (siehe: Etsi.org: What is EN 301 549?). Die englischsprachige PDF der EN 301 549 in der zurzeit für öffentliche Stellen des Bundes verpflichtenden Version (Version 3.2.1) ist hier als PDF-Datei abrufbar: www.etsi.org. Anforderungen für Websites werden in Abschnitt 9 beschrieben, die für Software in Kapitel 11.
    Für alle anderen Produkte und Dienstleistungen sind die Standards noch nicht definiert. Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit wird hierzu Informationen auf ihrer Website veröffentlichen, sobald diese feststehen.
  5. Kein Einsatz von Overlay-Tools: Overlay-Tools sind Assistenz-Softwarelösungen, die die Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) einer Website verbessern wollen. Mit der Einbindung eines Overlay-Tools in eine Website kann z.B. das Erscheinungsbild an individuelle Bedürfnisse angepasst werden (zum Beispiel größere Schrift, andere Hintergrundfarbe). Aber: Overlay-Tools können einen Webauftritt nicht vollumfänglich barrierefrei machen. Und ein Online-Shop kann mit einem Overlay-Tool nicht die Verpflichtungen zur digitalen Barrierefreiheit nach dem BFSG erfüllen. Neben der Bearbeitung der Website von Programmierern müssen auch Online-Redakteure bestimmte Aufgaben im Content-Management-System erfüllen, wie beispielsweise Bilder und Grafiken mit Alternativtexten zu versehen (mehr dazu: Leitfaden für Online-Redakteure von BIK für Alle).
    Übrigens kommt es oft vor, dass durch den Einsatz solcher Overlay-Tools weitere Barrieren im Webauftritt entstehen, die ohne das Tool gar nicht existiert hätten. Mehr Informationen dazu gibt es bei der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik.
  6. Überwachung: Im Rahmen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes sind die Marktüberwachungsstellen Anlaufstelle für Verbraucherinnen und Verbraucher zur Meldung vorhandener Barrieren. Nähere Informationen hierzu bieten die Leitlinien des BMAS: Leitlinien für Barrierefreiheit.

Generell gilt für die digitale Barrierefreiheit: Wenn diese bei der Planung von Anfang an mitgedacht wird, ist die Erstellung der barrierefreien Website oder App einfacher umzusetzen und damit auch kostengünstiger.

Digitale Barrierefreiheit erfüllt Kundenbedarfe und ist für alle hilfreich

Die Zielgruppe, die barrierefreie Websites und Apps benötigt, ist groß. Das bestätigt auch die Aktion Mensch: „Barrierefreiheit im Internet ist für zehn Prozent der Bevölkerung unerlässlich, für mindestens 30 Prozent notwendig und für 100 Prozent hilfreich“ (Quelle: Aktion Mensch).

Die Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen bietet gleichzeitig die große Chance, Zielgruppen zu erschließen, die bisher die Angebote nicht nutzen konnten. Außerdem ermöglicht sie das kontinuierliche Erreichen älterer und älter werdender Kundinnen und Kunden: Mit einer barrierefreien Website und App erreichen Sie Ihre Kunden auch morgen noch, wenn altersbedingte Einschränkungen wie beim Sehen oder Hören dazukommen.

Maßnahmen zur Umsetzung eines barrierefreien Online-Shops können entscheidend dazu beitragen, das Leben vieler zu verbessern.

„Fangen Sie an, sich mit dem Thema zu beschäftigen, haben Sie keine Angst, sehen Sie die Chancen! Das Wichtige ist, ins Gespräch zu kommen, mit Kolleginnen und Kollegen, mit dem Verband und mit Organisationen, die Menschen mit Behinderungen vertreten. Schon kleine Schritte und Stellschrauben können Großes bewirken – im Sinne der Teilhabe“, rät Kristina Kramer, Initiatorin Taskforce Barrierefreiheit im Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Auf einen Blick: Vorteile barrierefreier Online-Shops

  • Kundenservice: Hilfreich für 100 Prozent
  • Kundenbindung und -ausbau: Anpassung an Zielgruppenbedarfe
  • Usability: Barrierefreiheit unterstützt die Usability von Websites
  • Qualität: Barrierefreie Websites sind stabiler und laden schneller
  • SEO: Barrierefreiheit wirkt positiv auf das Suchmaschinen-Ranking
  • Image: Positives Unternehmens-Image

Hilfreiche Links

Informationen und Erklärvideos zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Bundesgesetzblatt: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Bundesgesetzblatt: Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Informationen zum BFSG auf der Website der Bundesfachstelle Barrierefreiheit
Erklärvideo zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit
BMAS-Leitlinien zur Umsetzung des BFSG

Beratung für Kleinstunternehmen

Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit bietet Kleinstunternehmen eine kostenlose Beratung zum BFSG an: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz.

Praxishilfen

Test-Tools zur Prüfung von Websites auf Barrierefreiheit

Da die EN 301 549 für das BFSG aktuell noch überarbeitet wird, stehen zurzeit nur die Tests zur Verfügung, die sich auf die Anforderungen nach der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0 beziehen. Die BITV 2.0 nennt die Anforderungen für barrierefreie Websites und Apps öffentlicher Stellen des Bundes, also von Bundesbehörden beispielsweise. Die Prüfschritte des Tests können aber auch eine Orientierung für Webshops sein, da sich die BITV 2.0 auch auf die EN 301 549 bezieht.

Tools zur Prüfung einzelner Anforderungen der Barrierefreiheit von Websites (Werkzeuge)

Einige Tools helfen beim Testen von Barrierefreiheits-Anforderungen, so zum Beispiel diese Browser-Plug-ins:

Andere Tools wie dieser Kontrast-Prüfer müssen zur Nutzung heruntergeladen werden:

Weitere hilfreiche Werkzeuge und Prüftools finden Sie hier in der Liste:
bitvtest.de: Werkzeugliste

Praxisbeispiele